Sie befestigten Elektroden auf dem Gehirn eines Schweinsaffen. Dann legten sie eine Nuss vor ihm auf den Boden und beobachteten, wie der Affe sich über die Nuss hermachte. Die Geräte zeichneten auf, was in seinem Gehirn passierte.
Der Affe hockte gemeinsam mit Wissenschaftlern in einem Labor der Universität Parma, eine der ältesten Universitäten weltweit.
Erst danach begann der tatsächliche Versuch.
Der Affe wurde hinter eine Glasscheibe gesetzt und musste zusehen, wie einer der Wissenschaftler nach der Nuss griff.
Was die Elektroden am Kopf des Affen aufzeichneten, war erstaunlich. Während der Affe zusah, wie der Wissenschaftler die Nuss nahm, feuerten dieselben Neuronen wie im Versuch, in dem sich der Affe die Nuss selbst nahm.
Übersetzt heißt das: Auch wenn der Affe nur zusah, machte sein Gehirn den Vorgang in seinem Kopf real.
Von dieser Geschichte habe ich zum ersten Mal im Buch Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? von Richard David Precht gelesen. Im selben Kapitel etwas später schreibt er:
Besonders elektrisiert war die Fachwelt, als Rizzolatti mithilfe bildgebender Verfahren zeigen konnte, dass Spiegelneuronen beim Menschen ganz offensichtlich auch in der Nähe des Broca-Zentrums liegen, einer der beiden Gehirnregionen, die für die Sprache zuständig sind.
Sprache wird in unserem Gehirn zu einer realen Handlung.
Stellen wir uns also den Fragen:
- Wie mache ich meine Storys durch die richtige Sprache für mein Publikum erlebbar?
- Welche Technik hilft mir dabei?
Verwende einfache Wörter
Sprich die Sprache deines Publikums.
Verwende einfache Wörter.
Vermeide Fachsprache.
Diese Tipps sind dir wahrscheinlich bekannt – du findest sie schließlich in jedem zweiten „Wie dein Schreibstil besser wird“-Artikel.
Und sie alle haben recht, aber warum ist das so? Warum ist es so wichtig, einfache und allgemein bekannte Wörter und Beschreibungen zu verwenden?
Die Frage beantwortet Elisabeth Wehling in ihrem Buch Politisches Framing:
Lesen wir den Satz ›John tritt den Ball‹, so aktiviert unser Gehirn automatisch jenen Bereich des prämotorischen Zentrums, der für das Planen von Fußbewegungen zuständig ist. Lesen wir hingegen ›John beißt in den Apfel‹, werden Schaltkreise aktiv, die unsere Mundbewegungen planen. Und lesen wir ›John greift nach der Gabel‹, werden jene Areale aktiviert, die für die Bewegung der Hände nötig sind. Wir begreifen also die Bedeutung des jeweiligen Verbes, des ›Handlungswortes‹, indem unser Gehirn die mit den Worten verbundenen Handlungen simuliert.
Das gilt nicht nur für Bewegungen, sondern auch für:
- Gefühle
- Gerüche
- Geschmäcke
- Geräusche
Wie einfach oder schwierig das sein kann, zeigt das folgende Beispiel. Lies nicht das Wort, das da steht, sondern benenne die Farbe, in der das Wort geschrieben ist – so schnell wie möglich.
Wir denken sprachlich und unser Gehirn macht die Wörter „real“. Deshalb ist es so schwierig, die Farbe statt dem Wort zu sagen.
Wenn wir in unseren Geschichten einfache und allgemein bekannte Wörter verwenden, werden sie für unser Publikum mühelos erlebbar. Ihre Gehirne starten das Kopfkino von ganz alleine.
Aber wenn schon der einfache Satz ›John tritt den Ball‹ die Vorführung im Kopf startet, wozu benötigen wir die Technik …
Show, don’t tell?
Im zweiten Teil meines Artikels Baue starke Storys! – Mit diesen einfachen Bausteinen bin ich auf die Regel Show, don´t tell schon etwas näher eingegangen.
Meine Übersetzung für das Benutzen der Regel lautet: Erzähle nicht, sondern setze dein Publikum in die Szene. Lass sie die Szene erleben, als wären sie dort. Lass sie die Temperatur fühlen, die Gerüche wahrnehmen und die Geräusche hören.
Nächtliche Lichtblitze durchdringen die Lamellen der Jalousien, rosa und blaues Neonlicht von dem koreanischen Einkaufszentrum an der Ecke. Scheinwerfer von abbiegenden Autos jagen Schatten über die Decke. Musik dröhnt durch den Boden aus einem Musikgeschäft herauf. Sie trommelt wie ein Puls durch Chris Shiherlis’ Schulter und Nacken.
Steh auf.
Das schafft er nicht.
Steh auf, verdammt. Sofort.
Shiherlis öffnet die Augen.
Er ist nicht tot. Tote werden nicht von K-Pop durchpulst, der aus dem Boden wummert. Tote bluten nicht. Zu Hause ist er auch nicht. Sein Zuhause ist ein Ranchhaus, eingepasst in die Anonymität des San Fernando Valley. Das hier ist eine Matratze auf einem Metallbettgestell in einer Zimmerecke. Es ist keine Gefängniszelle. Sondern eine Wohnung im Obergeschoss. Koreatown.
So beginnt das erste Kapitel des Romans Heat 2 von Michael Mann. Das gesamte Buch hat einen pulsierenden Rhythmus und ein rasantes Tempo, genauso wie diese Zeilen des ersten Kapitels. Michael Mann ist eigentlich Regisseur – er erzählt seine Geschichten in Bildern. Das ist der Grund, warum er es schafft, derart bildhaft zu schreiben.
Er beschreibt, was wir sehen und hören, wenn wir statt Shiherlis auf der Matratze liegen würden. Er zieht uns mit der Beschreibung in die Szene hinein.
Lies den Absatz noch einmal und achte auf die Wörter, die er verwendet.
Er benutzt alltägliche Begriffe, nichts Besonderes. Durch die einfachen und erlebbaren Beschreibungen erzeugt er ein klares und ästhetisches Bild.
Das zweite Kapitel (und dann höre ich auf, das Buch zu spoilern) beginnt so:
Vincent Hanna geht neben der Glasscheibe auf und ab und betrachtet prüfend den Raum. Draußen prasselt die Brandung mit einem Trommelwirbel an den Strand. Das Meer ist dunkel, kobaltblau. Die Spitzen der niedrigen Kumuluswolken überziehen sich mit gesponnenem Gold, der Anblick erinnert an Tressen an einer Ausgehuniform. Sonnenaufgang. Sechs Uhr morgens. Das Haus ist leer. Neil McCauley hat hier gewohnt. Er wird nicht zurückkehren.
Hanna ist hier, weil dieser Ort ihm etwas sagen soll. Er möchte, dass McCauley noch einmal mit ihm spricht. Es ist noch keine sechs Stunden her, dass er die drei Schüsse abgefeuert hat, die McCauley niederstreckten. Er hat McCauley während des Todeskampfs die Hand gehalten. Sie hatten sich verstanden, als wären sie die einzigen Menschen auf dem Planeten. Allein, isoliert in dem, was sie waren, doch nur sie wussten, wie alles wirklich zusammenhing.
Der erste Absatz zieht uns in die Geschichte, der zweite Absatz bringt der Plot voran.
Warum schafft es Michael Mann jedes Mal, den Projektor in unseren Köpfen zu starten? Es liegt nicht nur am Show, sondern an einer weiteren Technik, die Matthew Dicks in seinem Buch Storyworthy beschreibt:
Listeners should be able to see the story in their mind’s eye at all times. At no point should the story become visually obscured or impossible to see. As the title of this chapter suggests, effective storytelling is cinema of the mind. In order to achieve this lofty goal, storytellers must do one thing, and happily for you, it’s exceedingly simple: Always provide a physical location for every moment of your story.
Lass deine Geschichte immer an einem Ort spielen. Den Ort beschreibst du am besten mithilfe der Show-Regel: Mache ihn für dein Publikum hörbar, sichtbar, riechbar, schmeckbar und fühlbar.
Auch fürs Business geeignet
Die Techniken funktionieren natürlich nicht nur fürs Schreiben von Romanen oder Artikeln, sondern für jede Form der Kommunikation.
Ein großartiges Beispiel für ausgezeichnetes Storytelling ist der Werbetext von Apple für den ersten iPod.
Er lautete: „1.000 Songs in deiner Hosentasche.“
Klingt erst mal nicht spektakulär, nicht wahr?
Der Werbetext hätte auch lauten können: „The first ever 5 GB MP3-Player“.
Im ersten Beispiel finden wir die Techniken dieses Artikels auf die kleinste Einheit komprimiert – auf einen Satz.
Der zweite und von mir erdichtete Werbeslogan nutzt Fachwörter und komplizierte Sprache. Er erzählt keine Geschichte und verortet nicht.
Der Slogan von Apple benutzt keine Fachsprache. Er spricht nicht von der Speichergröße und benennt sich nicht als MP3-Player. Er erzählt in sehr einfachen Worten eine Geschichte. Und er verortet sie sogar – in deiner Hosentasche.
Wenn wir an Elisabeth Wehling zurückdenken, können wir beinahe spüren, wie unsere Hand beim Lesen des Slogans unbewusst zu unserer Hosentasche greift.
Egal, ob du einen Werbeslogan in einem Satz entwirfst oder komplexe Zusammenhänge in einem Artikel erklärst – mit den Tipps und Techniken wirst du ein größeres Publikum für dich gewinnen und deine Inhalte erlebbar machen.
🪢 AiA: Aktionen im Alltag
- Verwende einfache Wörter. Die Gehirne deines Publikums wandeln die Wörter unterbewusst in Bewegungsabläufe, Gefühle oder Geschmäcke um.
- Verorte jede Szene. Erst durch den Ort machst du die Szene für dein Publikum erlebbar.
- Von Lang bis Kurz. Nutze die Technik(en) in deiner gesamten Kommunikation.
Und jetzt:
Lass dich überzeugen.
Sei überzeugend.
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